In-vitro-Pflanzen – frei von Keimen und blinden Passagieren
Fast jeder hat schon einmal von befreundeten Aquarianern Pflanzen oder Zierfische angenommen, viele haben es bitterlich bereut. Immer wieder werden aus dem einen geschlossenen Lebensraum Keime oder blinde Passagiere in den anderen übertragen. Häufig sind es Blasenschnecken, aber auch Planarien oder Viren und Bakterien. Richtig übel kommt es, wenn es einem erst nach Wochen auffällt, da es bereits Überhand nimmt.
Nicht nur das, selbst beim Kauf im Fachhandel können diese Probleme auftreten. Deswegen wäre im Idealfall erst eine Quarantäne einzuhalten. Viele wässern ihre gekauften Pflanzen ohnehin zur Sicherheit erst über mehrere Tage. Auf diese Weise verschwinden die eventuell enthaltenen Düngemittel oder anderen Giftstoffe.
Zumindest bei einigen Wasserpflanzen gibt es jedoch die ultimative Möglichkeit, sich keine Viren, Keime oder blinden Passagiere einzuschleppen: In-vitro-Pflanzen werden als Zellkulturen in sterilen Gefäßen vermehrt. Einige Pflanzen sind fast automatisch mit Viren oder Bakterien befallen, in vitro kann dann die einzige Möglichkeit sein, diese komplett gesund zu erhalten.
In vitro – wie im Sci-Fi-Movie
Die in-vitro-Pflanzenvermehrung ist keine Gentechnik, es ist aber doch ein kleines Hexenwerk wie vom anderen Stern. Demnach gibt es bei Pflanzen an einigen Stellen Zellen, die sich noch nicht final entschieden haben, was sie sein werden. Es ist ähnlich wie bei den sogenannten Stammzellen, die sich noch in alle Richtungen entwickeln können. Bei Pflanzen sind es die „totipotenten Zellen“, die z.B. aus den Knospen, Wurzeln oder vom Kallus stammen, der bei Wundheilung entsteht.
Bei vielen Pflanzen lassen sich die totipotenten Zellen leicht gewinnen. Es ist lediglich zuerst eine perfekte und gesunde Pflanze zu wählen, um diese komplett von Keimen und Tierchen zu isolieren. Dann lässt sich passendes Zellmaterial gewinnen. Dieses wird je nach Situation als kleine Portion oder als vorbereitete Zellmasse in einer Petrischale auf einen Nährboden gegeben. Neben den perfekten Klimabedingungen mit Licht und Wärme kommen zu den passenden Zeitpunkten noch Stimulanzien zum Einsatz. Diese fördern die Zellteilung und auch die Bildung passender Zellen. Unten bilden sich also Wurzeln, die in einen Stiel münden, der wiederum Blätter bildet.
Die Pflanzenprobe ist nicht größer, als ein Stecknadelkopf oder es ist ein Tropfen der Zellmasse, daraus wächst eine komplette Pflanze. Nicht nur das, diese neue Pflanze hat die identischen Eigenschaften der Ausgangspflanze und kann diese für die weitere Vermehrung sogar ersetzen.
Auch der Preis spricht für in vitro
Das alles hört sich kompliziert und aufwendig an. Dabei ist in vitro häufig sogar günstiger, als eine konventionell vermehrte Pflanze, weil die Abläufe sich automatisieren lassen. Sobald totipotente Zellen zu einer Zellmasse verarbeitet werden, reicht ein winziger Klecks auf dem Nährboden, schon beginnt der Ablauf. In diesem Prozess werden jedoch tausende kleine Kleckse in die Petrischalen gegeben, die wiederum wie die Brötchen in der Bäckerei auf Böden in Rollwagen bewegt werden.
In vitro hat mit altbekannten Gärtnereien nicht mehr viel zu tun, es handelt sich eher um einen industrialisierten Vorgang in einer modernen Fabrik. Alles ist hermetisch abgeriegelt und die Mitarbeiter ziehen einen Schutzanzug an und betreten die Räume durch Schleusen. Die gewisse Romantik ist also weg, das böse Erwachen nach dem Einsetzen im Aquarium jedoch ebenfalls.
Unkompliziert und einfach
In der Aquaristik werden nicht nur Moose in vitro vermehrt, sondern auch Schwertpflanzen oder Anubien. Es kommt halt immer darauf an, ob sich die totipotenten Zellen leicht in Massen gewinnen lassen und ob es eine entsprechende Nachfrage gibt. Wenn ja, dann gibt es die Pflanze in vitro im kleinen Kunststoff-Döschen auf einem neutralen Nährboden. Es sind garantiert keine Vieren, Bakterien, Pilzsporen, Schnecken, Planarien oder sonstige unliebsamen Überraschungen enthalten.
Die Pflänzchen sind klein und können im Normalfall bereits etwas verteilt eingesetzt oder aufgebunden werden, um anschließend den Raum zu füllen. Dann aber sind es ganz normale Aquarienpflanzen mit ihren typischen Ansprüchen an Temperatur, Beleuchtung, CO² und Dünger. Auch in-vitro-Setzlinge entwickeln sich nur unter guten Bedingungen.
Die richtige Pflanzenpflege
Einige Pflanzen begnügen sich mit magerem Licht, andere brauchen hingegen 40 Lumen pro Liter oder mehr. Die einen wachsen langsam und bleiben klein, die anderen wachsen bis über die Wasseroberfläche hinaus.
Auch beim Düngen der Wasserpflanzen lässt sich vieles falsch machen. Wer bereits Zierfische hat, benötigt eher einen ergänzenden Dünger, damit die Pflanzen die Nitrate (den Stickstoff) besser aufnehmen und dadurch das Algenwachstum bremsen können. Dann gibt es jedoch Wasserschrauben, Schwertpflanzen und Wasserkelche, die ihre Nährstoffe nicht über die Blätter, sondern die Wurzeln aufnehmen. Hier wäre also ein Düngestäbchen zu bevorzugen sowie diese Pflanzen viel weniger Nitrat aus dem Wasser aufnehmen.
Einige Pflanzen müssen mit ihrem Rhizom zum Großteil oder komplett über dem Boden bleiben, um nicht zu verfaulen, sie werden also aufgebunden. Andere brauchen hingegen eine dicke Sand- oder Kiesschicht, um sich genügend zu verankern. Die nächsten lassen sich aufbinden oder gedeihen auch als Schwimmpflanzen. Viele nachwachsende Pflanzen müssen entweder oben oder aber unten eingekürzt und dann neu eingesetzt werden.
Dann gibt es „Futterpflanzen“, die schneller weggefressen werden, als sie nachwachsen und andere, die nur selten angeknabbert werden. Einige Wasserpflanzen brauchen neben ihrem Temperaturbereich auch eine passende Wasserhärte oder es sind andere Kleinigkeiten zu beachten. Letztendlich ist es aber ganz normal, dass einem einige Pflanzen liegen und andere eher kränkeln. Es gibt glücklicherweise eine reichliche Auswahl, abgesehen der Cichliden-Becken lässt sich jedes Aquarium mit etwas Pflege und Erfahrung perfekt begrünen.
In Kooperation mit dem Aquarium Ratgeber
*Autor Robert Brungert*